Chile 2003

Wir bedanken uns bei der Teilnehmerin der Reise Frau Ulrike Wolz für die Erlaubnis, den nachfolgenden Text auf unserer Website zu veröffentlichen. (Frau Ulrike Wolz im Internet)

«Das schmale Blütenblatt aus Meer und Wein und Schnee»
Pablo Neruda

Impressionen einer Chile-Reise

„We have seen Europe in five days and not tired yet!“ – wie oft haben wir diese Worte von amerikanischen oder japanischen Weltenbummlern belächelt, wenn sie über ihre aufregende Reiseroute berichteten: Big Ben, Eiffelturm, Hofbräuhaus, Kolosseum.

Und jetzt haben wir 4.000 km Chile – immerhin eine Strecke vom Nordkap bis Marokko - in 10 Tagen bereist. Und waren auch nicht müde. Und hatten das zufriedene Gefühl, ein Land und seine Facetten wirklich kennen gelernt zu haben.

Woran das liegt? Zum einen natürlich, weil wir das schmalste Land der Erde besuchten, uns somit fast immer entlang des gleichen Längengrads bewegen und von den sechs Klima- und Landschaftszonen Chiles vier intensiv erleben konnten. (Lediglich die pazifischen Inseln und die Antarktis haben wir für das nächste Mal aufgehoben…....)

Hinzu kommt, dass man sich in Chile, dem Land mit der verrücktesten Geografie, wirklich nur auf diese konzentrieren kann – es gibt kaum architektonische oder kulturgeschichtliche Highlights zu entdecken noch fremde Sitten und Gebräuche zu erkunden.

Zurück zur Natur – Genuss mit allen Sinnen. Heiße Wüstenluft brennt in den Nasenlöchern, aktive Vulkane rauchen hoch über romantischen Seen, eisige Gletschermassen liegen zum Greifen nah.

Der chilenische Dichter Pablo Neruda beschreibt das so: „Als der Schöpfer seine in sieben Tagen erbaute Welt betrachtete, entdeckte er allerorten noch übriggebliebene Reste: Urwaldstücke, Wüstenfetzen, Fluss-Schlingen, Wasserfälle, Kupferberge, Vulkane, Fjorde und Eis. So schütteten die Engel auf sein Geheiß all dies hinter einem langen Wall – den Anden – zusammen. Und es entstand Chile – das vielgestaltigste Land unseres Planeten.“

Von einer Reise kann man auf vielerlei Weise berichten. Man kann Bilder sprechen lassen, man kann minutiös den Ablauf schildern, man kann klimatische und erdgeschichtliche Besonderheiten hervorheben. Oder man kann einfach die stärksten Emotionen wieder aufleben lassen.

Flug über die Anden: Vulkane, Gletscherzungen und Sechstausender soweit das Auge reicht

Flug über die AndenWer 13.000 Flugkilometer Anreise hinter sich hat, ist frustriert, wenn ihm eröffnet wird, dass er weitere 6.000 km innerhalb des Landes zurücklegen muss, um seine Attraktionen zu erleben. In Chile begeistert diese Mitteilung den Fluggast. Denn er weiß, dass das 12 Stunden Flug über die Anden und die Kordilleren bedeutet. Und das eröffnet eine grandiose Aussicht auf eine unvorstellbar einsame schöne Landschaft. Gleich einem Rückgrat trennen die Anden Chile von Argentinien, vom nördlichsten Punkt des Landes bis fast hinunter nach Feuerland. Die Küstenkordilleren - im Norden noch mit den Anden vereint - bieten dem Land Schutz vor den Meeresstürmen und versinken südlich von Puerto Montt in den Pazifik. Doch was interessiert das den, der sich in ihren Anblick versenkt.

Eine karge Berglandschaft soweit das Auge reicht. Viele ihrer nicht zu zählenden Gipfel stoßen fast an die 7000-Meter-Grenze. Keinerlei Pflanzen können sich an den braunroten glattgewetzten Felsen halten, keine Straßen, keine Wege, keine menschlichen Behausungen sind in den Schluchten zu erkennen. Wattewolken umkränzen zahllose Schnee bedeckte Vulkane.

Weiter im Süden, Richtung Antarktis, bedecken riesige Eis- und Gletschermassen die Täler, ihre Zungen winden sich über viele Kilometer gen Tal bevor sie - allmählich schmelzend - in graugrünen Seen enden.

Wer das gesehen hat, vergisst die Alpen, das mehr als mäßige Essen bei LanChile und die vielen Stunden in der Luft. Bücher bleiben ungelesen in der Tasche, Gespräche versiegen, und der Mensch erkennt seine Winzigkeit.

Markt in Puerto Montt: Ponchos, Congrios und Curanto

Markt in Puerto MonttSpätestens auf dem Markt in Puerto Montt merkt man, dass man in Chile und nicht in Spanien ist. In Santiago können wir uns noch in Granada oder Madrid wähnen – jetzt aber beim Blick in die verwitterten indianisch geprägten Gesichter der Händler, beim Geruch der fremden Gerichte und Anblick der angebotenen Fischvielfalt, kommt die Erkenntnis, dass man am anderen Ende der Welt zu Besuch ist.

Jakobs-, Kamm-, Pfahl- und Miesmuscheln in allen Größen und Formen, Krabben und Krebse, Meeresschnecken, Austern und Seeigel liegen unter freiem Himmel bunt durcheinander. Muschelfleisch - genau wie Paprika- und Pfefferschoten gedörrt und auf Schnüre gezogen – hängt unter der Decke und an den Wänden der Markthallen. Über hundert Kartoffelsorten, Melonen, Avocados und Feigen türmen sich zu kleinen Gebirgen.

Unbekannten Genuss verspricht der congrio – der weiße Aal mit seinem festen wohlschmeckenden Fleisch. Köstlich auch die gebackenen warmen Teigtaschen, die empanadas – gefüllt mit verschiedenen Ragouts und Gemüsen. Herzhaft duftet der chilenische Eintopf curanto mit seiner einmaligen Mischung aus Würsten, Muscheln, Huhn, Dörrfleisch und Wurzelgemüse. Köstlich fremdartig schmeckt uns auch ein Glas mit einem süßen kühlen Gemisch aus Perlgraupen und gekochten Dörrpfirsichen.

Auf dem Markt machen wir die erste Begegnung mit unzähligen Ponchos, Schals und Decken aus Lama- und Alpaca-Wolle. Doch kaufen mag der, dem sie gefallen.

Wanderung in Patagonien: Das Mirador, der Papageienwald und die Schreie aus Stein

1.000 km weiter südlich, morgens um sieben Uhr, mitten in Patagonien (hört sich dieses Wort nicht an, als ob wir Magellan höchstpersönlich auf den Spuren sind?). Nach einer schier endlosen Fahrt durch eine öde Steppenlandschaft waren wir mitten in der Nacht in einer einsamen Hosteria (die uns allerdings noch mit einem köstlichen Essen in die Betten entließ) angekommen. Und nun treten wir ausgeschlafen ans Fenster und der Anblick benimmt uns fast den Atem: Ein weites Tal mit sattgrünen Wiesen erstreckt sich bis ans Ufer eines Sees, in dessen grüner Oberfläche sich ein wildes schneebedecktes Gebirgsmassiv spiegelt – die Torres del Paine, von den Ureinwohnern „Schreie aus Stein“ genannt.

Wanderung in PatagonienWie friedlich die Hosteria Mirador da liegt: weiße Holzhäuser mit knallroten Dächern, Koppeln mit Pferden und Hunden, ein kleiner Weiher voll mit Magellan-Gänsen – ein Paradies am Ende der Welt. Mit Warmwasser, weißen, flauschigen Frotteetüchern, Pfannkuchen und Rührei zum Frühstück.

Als Bonbon dann ein strammer Vier-Stunden-Marsch durch den Nationalpark Torres del Paine. Bei strahlender Sonne und schneidendem Wind vorbei an türkisen Seen, abgestorbenen Baumriesen, durch sumpfige Wiesen, Wälder voller winziger Papageien und schwarze Lava-Asche immer mit Blick auf eisbedeckte ausgefräste Bergzacken, über denen der Condor kreist.

Hier hätten wir gerne noch länger gesessen und geschaut, wenn es nicht so lausebacken kalt gewesen wäre…. Aber das war ja noch gar nichts im Vergleich zum Gletscher am Lago Grey: Rettungswesten, kalte Gischt und blaues Eis.

Ein Hauch von Abenteuer erwartet uns am Lago Grey. Mit mulmigem Gefühl umgürten wir uns mit Rettungswesten, entern ein Schlauchboot und zischen mit knatterndem Außenborder über das vom Wind aufgewühlte Wasser. Die Außensitzenden erwischt voll die kalte Gischt und vorbei an den ersten bläulichen Eisschollen fahren wir in eine Bucht, wo ein kleines Schiff vor Anker liegt. Wir steigen um und ab geht es Richtung Gletscher. Wer auf Deck bleibt, hat keine Chance trocken zu bleiben, so hoch platschen die Bugwellen.

Begegnung mit Eisschollen

Doch dann verlangsamt sich die Fahrt und das Schiff tuckert so dicht an mannshohe blaue Eisschollen heran, dass man sie fast mit Händen greifen kann. Von Königsblau bis Fenjala-Blau, von Türkis bis Babyhellblau, von Hellgrau bis Anthrazit in den Schrunden und Löchern entfaltet das Eis eine unvorstellbare Farbenpracht.

Ganz nah treiben wir dann auf meterhohe gefaltete Eisberge zu, fingrige Ausläufer des riesigen Campo de Hielo Sur, des größten Gletschers nördlich der Antarktis, der Chile in zwei Hälften teilt und eine Reise von Nord nach Süd nur per Flugzeug oder Schiff möglich macht.

Und wir können uns lebhaft vorstellen, dass ein Schiff wie unseres durch die Flutwelle kenterte, wenn sich eine solche riesige Eisfalte schmelzend ablösen würde. Also lieber ab durch die Mitte und zurück zum sicheren Ufer….

Atacama-Wüste: Geysire, heiße Quellen und das Kreuz des Südens

Zwei Tage später und 4.000 km nördlich landen wir mitten in der Atacama, der trockensten Wüste der Erde – hier sollen sogar Flöhe verdursten. Wir sind enttäuscht über unsere so späte Landung, denn wir können deshalb nur noch kurz betrachten, wie die untergehende Sonne die Gebirgskette der Salzkordilleren am Horizont in rostrotes Licht taucht.

Doch schon bald werden wir überreich belohnt: Bei völliger Dunkelheit im bizarren Valle della Luna – einem getreuen Abbild einer kraterigen Mondlandschaft – entfaltet sich ein überwältigender Sternenhimmel über uns. Je länger wir – den Kopf weit nach hinten gebeugt – in den Nachthimmel starren, desto mehr und hellere Sterne erstrahlen über uns: das Kreuz des Südens, der große Wagen, die Milchstraße … zum Greifen nah und doch Lichtjahre entfernt. Jedes Gespräch erstirbt, alle suchen ein einsames Plätzchen zum Schauen.

Bei den Tatio-GeysirenAm nächsten Morgen – nach einer zweistündigen Fahrt durch die mehr als karge Wüstenlandschaft, stapfen wir morgens um sieben in über 4.000 Metern (!) Höhe zwischen den dampfenden Tatio-Geysiren umher. Ein schneidender Wind pfeift bei minus 10 Grad über die Ebene. Wir versuchen, in den feuchten weißen Schwaden, die aus brodelnden Erdlöchern entweichen, uns wenigstens ein bisschen zu erwärmen. Doch nur unsere Haare gefrieren, unsere Nasenspitzen werden weiß, auch die dickste Skiunterwäsche hilft an diesem Morgen nicht viel.

Dankbar empfangen wir die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Und erfahren, welch belebende Kraft der leuchtende Ball am Horizont entfaltet und wie köstlich heiße Milch und Eier schmecken können - zum Kochen gebracht in den heißen Wassern der Geysire.

Baden in heißen QuellenKeiner von uns hätte sich in diesen frühen kalten Morgenstunden erträumt, dass wir uns vier Stunden später unserer Winterkleidung entledigen würden, um uns in heißen Quellen badend einen kleinen Sonnenbrand zu holen.

Mitten in der Wüste, in einem tiefen Canyon verborgen und überwuchert vom biegsamen Pampasgras entpuppen sich 30 Grad heiße Quellen als Attraktion für Einheimische und Touristen in über 3000 Meter Höhe.

Jung und Alt tummeln sich in den natürlichen Becken oder genießen ein kleines Picknick auf den Holzbohlen entlang des Wasserlaufes – immer die hochaufragende schroffe rote Felsenlandschaft vor Augen und eine stahlblauen Himmel über sich.

Jede gelungene Reise braucht zum krönenden Abschluss einen unverwechselbaren Sonnenuntergang. Chile-Reisende erleben ihn am unvergesslichsten auf dem großen Salar de Atacama, einem 3.000 Quadratkilometer großen Salzsee.

Sonnenuntergang am Salar de AtacamaIm untergehenden Licht der Sonne verwandeln sich die bizarren Salzbrocken in eine schattenreiche Mondlandschaft, in der uns bläuliche Seen mit zahllosen rosa Flamingos wie eine Fata Morgana erscheinen. Selbst als die Sonne am unendlich entfernten westlichen Horizont verschwunden ist, leuchten die Spitzen der Küsten-Kordilleren im Osten noch viele Minuten lang in allen Rosttönen.

Dankbar für diese eindrucksvollen Momente genießen wir unser kleines Abschluss-Picknick mit der täglichen Ration pisco sour, den unsere Zungen für immer mit dem Geschmack von Chile verbinden werden.

Chile – wie gut, dass wir „der Verlockung am Ende der Welt“ nachgegeben haben. Wir haben es keine Minute bereut!

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